Am Anfang waren es ein paar Skizzen für die Studierenden und Tierphysiotherapeuten und ein paar Anmerkungen zu einer handvoll Muskeln. Die Idee, daraus ein Buch zu fertigen, kam vor fünf Jahren. Das Inhaltsverzeichnis war relativ schnell erstellt, die Autoren gefunden, die Arbeit verteilt. Nun konnte tatkräftig losgelegt werden und das Buch bald fertig sein. Dachte ich!

Neben der täglichen Arbeit in der Praxis wuchsen meine Kapitel nur langsam. Ich hatte auch das Glück, nie alleine am Schreibtisch sitzen zu müssen. Ich hatte immer Gesellschaft von meinen Katzen. Entweder nur auf dem Schreibtisch

oder direkt auf den Büchern. Die Katzen legten die Schreibpausen fest!

Mein Mann war im Hintergrund auch immer tätig. Er musste zu seinem Leidwesen die ersten Korrekturen lesen, obwohl er nichts mit Tiermedizin am Hut hat. Das war aber auch von Vorteil. Denn wenn ich etwas nicht verständlich erklärt hatte, waren Fragezeichen am Blattrand und wir diskutierten die Problematik, bis wir eine Lösung oder eine verständliche Erklärung fanden.

 

Mein wichtigster Co-Autor meinte nach zwei Jahren, er wolle nur ein reines Anatomiebuch schreiben. Die Idee fand ich nicht so gut. Schließlich wollte ich die Pathophysiologie und die physiotherapeutischen sowie die homöopathischen Tipps weiterhin im Buch haben. Der Bezug zur Praxis wäre damit komplett in der Tonne gelandet. Das wollte ich nicht. Er merkte mein Zögern und verabschiedete sich daraufhin. Es zog mir im ersten Moment den Boden unter den Füßen weg. War das das „Aus“ für das Buch? Zweifel am Projekt und der Durchführbarkeit quälten mich. Drei Nächte lang schlief ich sehr schlecht, schließlich sollten vom letztgenannten Autor die Muskelbeschreibungen und die Muskelbilder dazu kommen. Nun fielen sie weg. Was nun? In der vierten Nacht wachte ich plötzlich auf und dachte: „Knete“. Ich schrieb es mir auf einen Zettel (der immer nehmen meinem Bett liegt) und schlief selig wieder ein. Am anderen Tag ging mein Mann in die Stadt und ich bat ihn, mir unterschiedliche Knetmassen mitzubringen.

 

Wir fingen an, die verschiedenen Knetmassen am Knochen zu befestigen, die ich in der Praxis hatte und versuchten zu modellieren. Die ersten zwei Sorten fielen direkt wieder vom Knochen ab und der Mut sank, aber die dritte Sorte „Aqua soft“ hielt zu unserem Entzücken! Die Idee des Muskelmodellierens war geboren. Nun fehlte nur noch ein Hundeskelett. Also ab ins Internet, da findet man ja alles, und ein preiswertes Plastik-Hundeskelett kaufen.

Unerquicklicherweise merkte ich schnell, dass die anatomischen Verhältnisse an diesem Skelett nicht wirklich stimmten. Viele knöcherne Muskelansatzstellen waren nicht zu erkennen oder überhaupt nicht vorhanden. Die Karpal- und die Tarsalgelenke waren eine Struktur. Eine kleine Fehlinvestition. Aber aus Fehlern lernt man ja bekanntlich. Hilfe nahte in Gestalt des Tierpräparators Herrn Lippmann vom Veterinärmedizinischen Institut der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Zu meinem Glück hatte er vor einiger Zeit einen alten Labrador präpariert und nun stand das Hundeskelett zum Verkauf. Also nichts wie hin ins Institut und das Skelett gekauft.

Die ersten Skelettbilder, die ich mit Nancy Paul, damals noch Veterinärstudentin, heute Tierärztin, anfertigte, waren eine große Enttäuschung. Die Belichtung stimmte nicht wirklich, die Farben waren ein Graus. Künstlerisch vielleicht wertvoll, aber für ein Anatomiebuch?

 

Aus und vorbei? Aber wir gaben nicht so schnell auf. Die Hundebesitzerin und Freundin Hilde Hildenhagen kam uns zur Hilfe. Sie ist professionelle Fotografin und kam mit Kamera, Stativen, mehreren Scheinwerfern und guten Ideen an. Unser Glück!

 

Die ersten Muskeln an der Vordergliedmaße stellten wir nur als strichförmige Verbindungen zwischen dem Muskelursprung und dem Muskelansatz dar. Der M. supraspinatus sah sehr bescheiden aus. Was tun? Erstmal mehr Knetmasse kaufen! Einen zweiten Versuch starten und der gelang wesentlich besser. Daraufhin stellten wir so gut wie möglich den Muskel in seiner natürlichen Form am Skelett dar. Beispiel: M. supraspinatus.

Das gefiel uns allen besser: Nancy, Hilde und mir. Aus der nächtlichen Idee entwickelte sich ein Muskel und meine Zuversicht war wieder da. Das Buchprojekt musste ich doch nicht sterben lassen. Hurra.

 

Das Hurra verging mir aber kurz drauf wieder. Denn in den zwei Anatomiebüchern, die ich hatte, waren viele Muskeln entweder im Ursprungbereich oder im Ansatz nicht zu erkennen…

 

Stöbern war angesagt. In Leipzig haben wir nicht nur eine veterinärmedizinische Fakultät und eine Bücherei, sondern auch eine Lehmanns Buchhandlung und damit eine gute veterinärmedizinische Fachbuchabteilung. Da ich die Bücher länger brauchte, habe ich erstmal einen Großeinkauf gestartet. Zu unseren Modellierwochenenden hatten wir dann den Schreibtisch und die Praxisablage immer voller Anatomiebücher und waren oft am Fluchen! Warum?

Der gesuchte Muskel war unter seinem Namen im anderen Anatomiebuch nicht mehr zu finden, da er umbenannt worden war, die Ansätze waren anders definiert worden, es gab ihn plötzlich nicht mehr beim Hund… aaaaaaaahhh.

 

Unser Retter aus der Verzweiflung: Prof. Dr. Christoph K.W. Mülling vom Veterinärmedizinischen Institut der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Er korrigierte nicht nur unsere kleinen Fehler bei den Muskelursprüngen und -ansätzen, sondern gab uns wertvolle Hinweise und Tipps. Die Nomina Anatomica Veterinaria 2012 war eine weitere große Erleichterung bei der Benennung der Muskeln.

 

Damit konnte das Modellieren weitergehen. Aus der Praxis wurde ein Fotostudio…

und wir legten los mit dem Modellieren.

Wir kneteten, legten Hand an und walzten ...

fotografierten und lasen in den verschiedenen Anatomiebüchern nach, ob alles stimmte.

Nancy fertigte Skizzen über den Muskelverlauf an, die wir beim modellieren neben das Skelett legten.

Wir werkelten viele Wochenenden und in den Ferien. Für manche Muskeln, wie z. B. den M. multifidi brauchten wir mehr als eine Stunde für das Modellieren.

Zeit für Hilde, der Fotografin, spazieren zu gehen mit ihrem Hund Trey oder zum Ausruhen.

Wenn der Muskel fotografiert wurde, mussten wir oft etwas seltsame Stellungen einnehmen, damit er für das Foto gut dargestellt werden konnte.

Die Muskelfotos wurden aus verschiedenen Richtungen und Höhen fotografiert und dann ging die Diskussion los, welches Bild am schönsten ist. Hilde setzte ihre Brille dazu auf, ich meine ab ...

oder wir überlegten, ob der Muskel aus einem anderen Blickwinkel nochmals fotografiert werden sollte …

Nach dem ersten Muskelfoto standen wir vor dem nächsten kleinen Problem. Wir konnten ja nicht alle Muskeln in rot darstellen. Spätestens nach dem dritten Muskel wäre das Foto unübersichtlich geworden. Also modellierten wir den ersten Muskel nochmals, aber diesmal in weiß, setzten ihn wieder am Skelett an und modellierten den nächsten Muskel.

So arbeiteten wir uns von der unteren Muskelschicht langsam aber sicher zur äußersten Muskelschicht durch. Somit haben wir jeden Muskel in diesem Buch vom Ursprung bis zum Ansatz dargestellt, ohne das ein anderer roter Muskel im Bild stört. Beispiel: M. triceps brachii.

Eine kleine Ausnahme gibt es, aber sie fiel uns erst später auf. Da sie jedoch nicht groß ins Gewicht fällt, haben wir sie gelassen, die beiden kleinen Muskeln: M. pronatur und M. supinator.

Nach dem Modellieren der Muskeln, und es waren gefühlte Tausende von Muskeln, kamen die Knochen zum Einsatz. Ziel war jeden einzelnen Muskel zeichnerisch in Ursprung und Ansatz am Knochen darstellen. Also wurde jeder Knochen aus verschiedenen Richtungen und Ansichten fotografiert ...

und dann wollte ich mal eben mit dem Einzeichnen anfangen. Das ging aber nicht mit dem Bildbearbeitungsprogramm das ich hatte. Lightroom 4 gekauft, ein spezielles Programm zur Bildbearbeitung, an den Schreibtisch gesetzt, losgelegt und fast verzweifelt…

 

Es dauerte einige Tage bis ich mich in das Programm eingearbeitet, die richtige Farbe gefunden und die korrekte Handhabung beim Einzeichnen hatte. Mit mal eben war da nix… Geduld war gefragt. Bei manchen Muskeln brauchte ich zum Zeichnen zwischen 30 bis 60 Minuten pro Bild. Je nach Anzahl der Ursprünge und Ansätze. Besonders die Wirbelsäulenmuskeln waren nervig. Ein Muskelansatz, den man schnell zeichnen konnte, war z. B. der Ursprung des M. subscapularis.

Die Aufsicht bei der Arbeit war sehr streng. Meine Katzen kontrollierten und überwachten ständig mit kritischem Blick meine Tätigkeit. Manchmal sah mich meine Katze grimmig an und sie schien zu fragen: „Warum eigentlich kein Katzenbuch?“

Wir modellierten jedoch nicht nur. Auch viele Hunde halfen uns bei der Darstellung von Haltungs- und Stellungsfehlern, Untersuchungstechniken und Behandlungsmöglichkeiten mit ...

oder sie beobachteten genau, ob ein Knochen beim Fotografieren für sie abfällt…

Meine Lektorin, Dr. Maren Warhonovicz, hat mich immer gestärkt, wenn ich am Verzweifeln war. Dafür möchte ich mich herzlich bei Ihr bedanken. Sie hat immer an meine Arbeit geglaubt.

 

Ich hoffe, das Buch „Bewegungsapparat Hund – Funktionelle Anatomie, Biomechanik und Pathophysiologie“ wird Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gefallen. Es wird im Frühjahr 2015 erscheinen.

 

Das Buch ist von meiner Seite nun fertig und mein Mann erfreut, dass ich wieder mehr Zeit für ihn habe. Ich wünsche Ihnen, liebe Leserin und Leser viel Spaß beim Lesen, Lernen und Umsetzen.

 

Mima Hohmann

 

Leipzig 2014